Erinnerung – Nachmittags 18.05 Uhr Deutschland
Ein Nachmittag im Juni – blauer Himmel – Weiss spielt gegen Rot. Die Weissen schieben sich den Ball vor dem Strafraum zu und versuchen die rote Wand zu überwinden.
Der Ball wird etwas planlos nach aussen geschlagen. Ein kleiner Spieler im weissen Trikot erläuft ihn, schlägt einen Haken und dringt in den Strafraum ein. Drei Rote stellen sich ihm in den Weg. Er schaut, legt den Ball auf den rechten Fuss und schlenzt den Ball Richtung lange Ecke. Die Spieluhr zeigt die 6. Spielminute und in Deutschland hat das Sommermärchen begonnen.
Eine Analyse – der Analysten
Nicht nur die Finanzanalysten haben derzeit Hochkonjunktur sondern auch die im Fussball. Während bei Derivaten nur wenige sich trauen öffentlich mit zu reden, glauben beim Fussball erheblich mehr Leute mitreden zu können. Und das sind nicht die 80 Millionen Bundestrainer vor dem Fernseher, sondern auch die im Fernsehen und die in den Gazetten.
Über die Kommentatoren im Fernsehen braucht man nicht viel zu reden, dass diese als Ärgernis empfunden werden ist spätestens seit Heribert -Guten Abend allerseits- Fassbender ein Dauerthema. Interessanter ist es auch mal einen Blick auf die Herren der schreibenden Zunft zu werfen.
Wenn man sich die Kommentare und Spielanalyse der letzten beiden Spiele anschaut. drängt sich der Verdacht auf, dass der eine oder andere das Spiel gar nicht in voller Länge sondern nur in einer Zusammenfassung gesehen haben. Die Beurteilung fällt entsprechend aus. Spieler A kommt zu Beginn des Beitrages häufig vor? Also gut begonnen. Am Ende sind kaum noch Szenen von ihm in der Zusammenfassung zu sehen? Also stark nachgelassen. Spieler B ist immer wieder zu sehen, also Omnipräsent: Super Spiel.
Khedira und Schweinsteiger haben, dafür das sie das erste Mal die Doppelsechs gegeben haben, ihre Sache ordentlich gemacht. So überragend wie sie jetzt dargestellt werden, war es aber auch nicht. Es fehlte noch an Abstimmung, Pässe waren ungenau und es gabe einige unnötige Ballverluste. Es ist mit Sicherheit eine Leistung auf die man aufbauen kann und die Hoffnung macht, aber Serbien oder Australien oder Ghana wären doch ganz anders dazwischen gefahren.
Besonders interessant wird die Analyse wenn es um die Aussenbahnen geht. Hier gibt es bestimmte Schubladen in denen die Spieler derzeit stecken. Özil ist die verkappte Zehn und ein grosser Hoffnungsträger, Podolski lauffaul, Trochowski muss sich beweisen und Müller das Riesentalent. Die Analyse nach den Spielen fällt dann entsprechend aus. Gegen Ungarn lief in der ersten Halbzeit fast jeder Angriff über rechts. Trochowski und Özil spielten einige schöne Chancen heraus die Özil recht fahrlässig vergab. Da wurde recht grosszügig übersehen, dagegen wurde über Podolski konstatiert: Das Spiel lief an ihm vorbei. Diese Aussage ist insofern korrekt, als das er auf der linken Aussenbahn keine Chance zum eingreifen hatte, wenn über rechts gespielt wird aber die Aussage impliziert was anderes. Es wurde ihm aber eine Steigerung assestiert als in der zweiten Halbzeit mehr durch die Mitte und über Links gespielt wurde, weil Kroos und Khedira die Einzelaktionen von Trochowski satt hatten und den Ball auf die andere Seite brachten.
Gegen Bosnien war es genau umgekehrt. Da lief sehr viel über Links solange Trochowski auf dem Platz war, entsprechend wurde Poldi eine grosse Einsatzbereichtschaft bescheinigt. Nachdem sich mit der Einwechslung von Müller das Spiel mehr nach rechts verlagerte wurde Müller eine gute Leistung und Poldi eine nachlassende Einsatzbereichtschaft bescheinigt. Tja liebe Schreiber – solange nur ein Ball im Spiel ist, kann man im Fussball nur über Links oder Rechts angreifen. An einer Aussenbahn läuft das Spiel,in dem Moment, vorbei das hat aber nichts mit fehlendem Einsatz zu tun. Wenn also in der Zusammenfassung ein Spieler nicht auftaucht dann nicht weil er schlecht oder Faul war sondern nur weil in einer 5 Minuten Zusammenfassung nicht alles gezeigt werden konnte. Also vielleicht doch das ganze Spiel sehen oder die Spieler aus den Schubladen nehmen.
Eine Analyse – das deutsche Team
Das letzte Testspiel ist gespielt und der Abflug nach Südafrika steht bevor. Ein paar Fragen sind beantwortet, ein paar sind noch offen.
Ausfälle? Die Ausfälle sind zu kompensieren.
Die K Frage? Geklärt – Kapitän ist Lahm,
Die T Frage? Auch – Neuer ist die Nummer 1.
Offen ist die S Frage – Wer steht im Sturm? – Bekommt Klose noch eine Chance Spielpraxis zu sammeln und steht gegen Australien in der Startformation oder fängt Löw mit Cacau an. Es wäre wohl ein vertrebares Risiko Klose spielen zu lassen denn die deutsche Mannschaft wäre auch mit einem schwächelnen Klose in der Lage Australien zu schlagen. Wenn er also nochmal eine Chance von Anfang bekommen soll – Wenn nicht jetzt wann dann?
Trochowski sollte sich jetzt endlich aus der Mannschaft gespielt haben und der Trainerstab sollte bitte ein Einsehen haben und endlich Kroos oder Müller oder sonst wem den Vorzug geben. Özil, Khedira, Podolski und Schweinsteiger sind im Mittelfeld gesetzt. Khedira und Schweinsteiger fehlt noch das Feintuning aber das wird noch.
Marin empfiehlt sich als Joker. Wenn nix mehr geht, reisst er die Löcher. Aogo hätte ich mir noch gewünscht, da hätten wir auch jemanden der Standards schiessen kann.
Ballack befindet sich in einer illustren Reihe von Spielern die Ausfallen oder deren Teilnahme noch nicht gesichert ist: Torres, Fabregas, Drogba,Essien, Ferdinand. Nicht nur die Deutschen vom Verletzungspech gebeutelt.
Was ist von der deutschen Mannschaft zu erwarten? Viertelfinale ist drin und mit ein bisschen Glück auch Halbfinale. Um Weltmeister zu werden dürfte das Team ein bisschen jung sein, aber wenn sie so schwungvoll spielen wie zuletzt, können wir uns ein schönes Turnier freuen. Ganz Ketzerisch gesagt lieber mit schönem Offensivfussball Dritter wie 2006 werden als mit Gewürge Zweiter wie 2002 und 2008. Da es ein junges Team ist und mit den Erfolgen in den Jugendmannschaften der letzten Jahre können wir von der Mannschaft in den nächsten Turnieren noch viel mehr erwarten.
Solange der DFB und Matthias Sammer nicht mit der Blutgrätche dazwischen gehen.
Reaktion – Ballack
Aussage von Dejan Stankovic. Der Mittelfeldspieler von Inter Mailand trifft in der WM-Vorrunde mit Serbien auf das DFB-Team. Er glaubt: “Ich bin sicher, dass sie einen Spieler finden werden, der ihn gut ersetzen kann.” Seine Begründung: “Das sind doch Deutsche.”
Das Ende ist nah! Der Fall Ballack
Zu diesem Schluss muss man kommen wenn man die Berichterstattung des gestrigen Tages nimmt. Die Online Kommentare sprechen eine ähnliche Sprache. Deutschland hat ohne Michael Ballack keine Chance mehr auf den vierten WM Titel – ach was Viertelfinal und Achtelfinal und Vorrunden-Aus drohen. Der Fortbestand des deutschen Fussballs ist in Gefahr, wir brauchen sofort…Irgendwas!
Durchatmen, Ruhe bewahren. Michael Ballack ist ein Spieler, ein Wichtiger mag sein, aber nur Einer. Wenn das Wohl und Wehe einer Mannschaft von einem Spieler abhängt, dann hat sie in der Regel sowieso nicht das Potential dazu Weltmeister zu werden. Eine Verletzung oder eine Sperre eines Schlüsselspielers muss im Verlaufe von sieben Spielen einkalkuliert werden. Natürlich sind bestimmte Spieler nicht so ohne weiteres zu ersetzen, sollte z.B. Messi ausfallen, kann Argentinien nicht einen gleichwertigen Spieler aus dem Hut zaubern. Ein Team das Weltmeister werden will, muss in der Lage sein, auch einen solchen Ausfall zu kompensieren. Zur Not muss das System entsprechend angepasst werden.
Die Diskussion um den Leader, den Capitano, die Nummer 10 rührt in Deutschland von der Vorstellung, von dem Wunsch her, DEN Einen Spieler im Mittelfeld zu haben, der den Ausschlag gibt. Seit der alte Fritz 1954 Deutschland das Wunder von Bern bescherte sucht Fussball Deutschland bei jedem Turnier diesen einen Spieler. 54 Fritz Walter, 74 Franz Beckenbauer, 80 Bernd Schuster, 90 Lothar Matthäus, 96 Matthias Sammer das ist die Reihe die aufgemacht wird. Nun gut Beckenbauer und Sammer haben gar nicht im Mittelfeld gespielt aber sie haben Gift und Galle gespuckt und die Mitspieler zur S… gemacht wenn es nicht gelaufen ist. Ein echter Leader eben! Daher wird jetzt die Rückkehr von Throsten Frings gefordert.
Leider ist dieses Bild falsch. Warum konnte ein Stefan Effenberg in der Nationalmannschaft nie Fuss fassen? Eine Mannschaft sucht sich den Chef auf dem Platz selber. Sie akzeptiert ihn (oder auch nicht) auf Grund seiner Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit. Das kann nicht vom Trainer bestimmt werden.
Fritz Walter war wegen seiner fussballerischen Fähigkeiten unumstritten. Das Beckenbauer in einem hochkarätigen Ensemble von 74 der Chef war lag nicht an seiner Schreierei, schliesslich war Wolfgang Overath auch kein Kind von Traurigkeit. Matthäus war 1990 in einem Mittelfeld von Weltklasse Spielern mit Littbarski, Hässler, Thon und Bein primus inter pares.
Löw sollte den Spielern und dem Team vertrauen, dass die souveräne Qualifikation gespielt hat und nicht nach einem starken Mann suchen der alles richtet. Nicht umsonst wird unsere Nationalmannschaft von den anderen Nationen als schwer zu schlagendes Kollektiv gesehen: Le Mannschaft heisst sie in Frankreich, die Mannschaft in den Niederlanden. “Sie hören erst auf zu kämpfen, wenn sie im Bus sitzen!”
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